Bubbles & Struggles

Ruof Petnat 2023
Ruof Pet Nat 2023

Auch dieses Jahr verkoste ich als ersten Petnat des neuen Schweizer Jahrgangs eine Flasche von Christof Rouf aus Jenins. Die Weine von Christof kenne und schätze ich seit Jahren. Eine Probe des neuen Jahrgangs lässt sich jeweils gut einordnen und gibt für mich auch generell ein gutes erstes Bild, wie das Jahr weintechnisch lief.

Besonders spannend dabei ist nicht zuletzt die Tatsache, dass gerade für Petnats nicht immer die besten Trauben und besten Lagen gährend in der Flasche landen – das macht sie als Basis-Indikator umso spannender.

Vorweg: Das Resultat überzeugt. Auch der Pet Nat 2023 von Christof Ruof hat diese feine Balance von Frucht, Säure und Cremigkeit und eine innere Energie/Spannung, die gleichzeitig Ruhe ausstrahlt wie auch Freude. Stilistisch ist dieser Jahrgang klar «Ruof» durch und durch, aromatisch näher bei den Sonnenjahren 2022 und 2020 als beim kargeren (aber sehr spannenden) 2021.

Aber der Weg dahin, der war nicht einfach im Weinjahr 2023.

Am Anfang lief alles gut, doch ab dem Sommer folgte eine Herausforderung nach der anderen: Christopf berichtet von Hagel im Grünpunkt-Stadium, Hitzetagen im August und beim Farbumschlag noch einmal Hagel mit zwei Tagen Dauerregen. Verzögerte Reife, platzende Beeren, eintrocknende Beeren – und dadurch am Schluss ein sehr wechselhaftes Bild im Rebberg mit unterschiedlich reifem Traubengut.

Auf den letzten Metern war deshalb voller Einsatz und volle Konzentration angesagt: Viele Durchgänge im Rebberg mit den Tee-Präparaten und dann vor allem konsequentes Erlesen im Rebberg, um wirklich sauberes Lesegut in den Keller zu bringen.

Im Glas präsentiert sich das Resultat dieses Einsatzes sehr stimmig und genussvoll – die Mühe dahinter lässt sich nur noch vage erahnen. Auch dieses Jahr mit tiefen 11.7%, einer sauberen, klaren Stilistik und tollen Aromatik.

Danke Christof für den Einsatz und deinen Durchhaltewillen auch in stürmischen Zeiten!

Pet Nat 2023, Christof Ruof (Jenins, Schweiz). Pét-Nat aus Pinot Noir, 11,7%. Erhältlich bei More Than Wine für CHF 28.-

Funkiness: clean | mild | wild

Pure, tropische Energie aus Franken

Fresh&Tropical: der Pét-Nat Benchmark aus Franken

Dieser Pét-Nat ist ein wahres Energiebündel – sowohl von der äusseren Erscheinung her wie auch dann tatsächlich im Glas. Doch der Reihe nach.

Einerseits ist der «Pure&Naked» vom Weingut am Stein wohl einer der am besten vermarkteten natural bubbles und kommt entgegen seinem Namen gar nicht so nackt daher. Der Wein steckt nämlich in einer charakteristischen Verpackung in Form einer Fake-Zeitung («Pet-What? Pet-Nat!»), inklusive 19 handkuratierten, teil selbstironischen, teils sehr treffenden Hashtags (#tropicalthunder). Das alles ist sehr bold, sehr ansprechend, sehr in your face. Und hat einen hohen Wiedererkennungswert, was bei einer Produktionsmenge von knapp 4000 Flaschen sicher hilft, den Absatz hoch zu halten.

Doch jetzt hopp, weg mit der Zeitung, Flaschenöffner her und los geht’s.

Und wie es los geht! Die intensiven Zitrusaromen rütteln einem vor lauter Frische in der Nase richtig wach. Dann folgen intensive Mango- und Passionsfruchtaromen am Gaumen. Und zwar richtig I-N-T-E-N-S-I-V. Geht Pét-Nat tropischer? Und sind da wirklich nur Trauben drin und nicht noch die eine oder andere Mango in die Presse gefallen? Das Geschmackserlebnis ist zwar crazy, aber dann eben doch auch richtig gut und auf den Punkt gebracht. Der Wein ist frisch und spritzig, präzise, mit einer schönen cremigen Textur hinter einer feinen Säure-Ader. Er ist der perfekte Wein für einen warmen Sommertag. Oder kalten Wintertag, um an die warmen Sommertage zurück zu denken.

Pure&Naked, Weingut am Stein (Franken, Deutschland). Pét-Nat aus Sauvignon Blanc und Cabernet Blanc, 12%. Erhältlich bei Smith & Smith für CHF 29.-

Funkiness: clean | mild | wild

Mostro Berry Monster

Mostro Petnat von Cascina Tavijn
Trüber Saft, helle Freude: Mostro 2019

Piemont, Petnat, Grignolino: Im «Mostro» von Nadia Verrua (Cascina Tavijn) findet eine der weniger prominenten Rebsorten des Piemonts eine verdiente Bühne. Grignolino ist zwar ähnlich anspruchsvoll im Anbau wie Nebbiolo, spielt aber mit gerade mal 2% der Anbaufläche im Piemont eine klare Aussenseiterrolle. Im Vergleich zu Piemonts Parade-Traube Nebbiolo hat Gignolino nicht die gleiche Komplexität und Langlebigkeit. Wenn er aber mit der richtigen Portion Sorgfalt und Zurückhaltung vinifiziert wird, entstehen aus Grignolino frische Weine mit knackigen Beeren-Aromen. Sie passen gut zu kalten Platten und jenen Gelegenheiten, in denen der Wein nicht andächtig im Zentrum stehen soll, sondern der unkomplizierte Genuss und die Menschen um einen herum.

Die Familie von Nadia Verrua produziert seit mehr als 100 Jahren Wein in Monferrato. Seit 2007 ist das Weingut biologisch zertifiziert und seit Generationen werden in den Rebbergen speziell auch seltene, autochthone Sorten des Piemonts gepflegt und angebaut – darunter eben auch Grignolino.

Der Mostro Petnat wird nicht degorgiert und kommt daher sehr trüb ins Glas. Das gibt dem Wein eine zusätzliche Dimension. Neben den schönen, knackigen Erdbeer- und Himbeernoten und leicht süssen Zitrus-Aromen (Blutorange) kommt so eine Cremigkeit ins Spiel, die durch die angenehmen weichen Bubbles unterstrichen wird. Insgesamt bleibt der Wein so deutlich im Hintergrund, drängt sich nie auf. Er ist unglaublich zugänglich, wirkt aber nie simpel. Ein sehr charmanter Petnat aus dem Piemont mit hohem Flow-Faktor. Ein gutes Beispiel dafür, was für tolle Weine aus Grignolino entstehen können.

Die ikonischen, schelmischen Labels des Weinguts gestaltet übrigens Gianluca Cannizzo. Auf My Poster Sucks verarbeitet er jede Art von Wein-Emotion so künstlerisch-rau wie die Weine um ihn herum.

Mostro 2019, Cascina Tavijn (Piemont, Italien). Pét-Nat aus Grignolino, 12.5%. Erhältlich bei More Than Wine (ausverkauft) für CHF 25.-

Funkiness: clean | mild | wild

Wie schmeckt 2021?

Wie jedes Jahr durfte ich auch in diesem Winter den neuen Pet Nat von Christof Ruof probieren. Kurz vor Weihnachten landete das Paket bei mir und nach etwas Ruhe im Keller war es jetzt so weit: Der erste Schluck 2021. Der Pet Nat von Christof ist immer auch mein erster Kontakt mit dem jeweiligen neuen Jahrgang. Auf 2021 war ich ganz besonders gespannt, denn dass 2021 ein speziell schwieriger Jahrgang für die Winzer in der Schweiz und Europa war, dürfte kein besonders gut gehütetes Geheimnis sein. Ein «launischer» Jahrgang nennt es Christof, «die Hölle» sein Kollege Julien Guillon im Wallis: Ein kalter Sommer mit viel Regen, Pilzdruck, dazu je nach Lage Frost und Hagel. Dass es dennoch überhaupt neuen Wein aus 2021 gibt, ist dem harten Einsatz der Winzerinnen und Winzer durchs ganze Jahr hindurch zu verdanken. Ein durchschnittlich tieferer Ertrag von 20 bis 30% zeigt, wie schwierig die Situation war.

Es schwingt also eine grosse Portion Respekt und Dankbarkeit mit, als ich den Flaschenöffner beim Pet Nat 2021 ansetzte.

Wie schmeckt er denn jetzt, der Jahrgang 2021?

Während 2020 sehr direkt und offen in seinem fruchtigen Charme war, fast ungestüm kraftvoll und in der Farbe intensiv wie Grapefruitsaft, legt 2021 am Anfang mit deutlich stärkerer Säure los und zeigt mehr Zitrusaromen. Auch die Farbe ist anders, tendiert zu Lachsrosa. Erst mit etwas Zeit im Glas kommt dann diese typische Kombination der «Ruof Cremigkeit» mit den knackigen Beeren.

2021 braucht also Luft, wirkt zu Beginn noch sperrig und kantig. Die Säure trägt den Wein aber sehr stimmig und ich denke, dass er auch gut von etwas Flaschenreife profitieren kann. 2021 ist wohl der komplexeste der jüngeren Pet Nats von Christof Ruof.

Nach diesem ersten Preview auf 2021 bin ich sehr gespannt, wie andere Winzer den Jahrgang gemeistert haben und freue mich auf feine, energiegeladene Weine.

Pet Nat 2021, Christof Ruof (Jenins, Schweiz). Pét-Nat aus Pinot Noir, 11,7%. Erhältlich bei More Than Wine für CHF 28.-

Funkiness: clean | mild | wild

In the mood for freshness – rennersistas

Schöne Aussichten: Bubbles und Berge.

Diesen Traktor kennen mittlerweile wohl fast alle, die mal eine Weinhandlung oder ein Restaurant von innen gesehen haben. Seit 2014 wirken Stefanie und Susanne Renner unter dem eigenen Label rennersistas auf dem elterlichen Hof in Gols und haben mit ihren direkten, frischen und sympathisch trinkigen Weinen schnell auch international einen Namen in der Naturwein-Szene und weit darüber hinaus gemacht. Ihre Philosophie ist dabei einfach, aber nie freakig-dogmatisch: Biodynamischer Anbau. Hohe Biodiversität im Rebberg. Handarbeit. Spontanvergärung. Handlese. Keine Filtration, keine Schönung. Feinhefe statt Schwefel.

Der «In a hell mood» darf heute zu Recht als eine Pet-Nat-Ikone betrachtet werden und hat mit anderen Weinen aus Österreich wie dem «Kalkspitz» von Christoph Hoch und den «Fuchs und Hase» Weinen den Ruf Österreichs als Naturbubble-Pionierland geprägt.

Er schmeckt denn auch genauso, wie er aussieht: Frisch, aufgeräumt, verspielt, sympathisch und absolut unkompliziert. Mit gerade mal 10%Vol ist er sehr trinkig, der wohl sehr früh geerntete St. Laurent sorgt für eine schöne ausgeprägte Säure. Es dominieren Zitrusnoten am Gaumen, nur die feine Most-Note im Abgang irritiert etwas und erinnert leicht an Cidre.

Insgesamt ein sehr stimmiger, spassiger Wein, der sich nicht aufdrängt sondern leicht und beschwingt für gute Laune sorgt.

In A Hell Mood 2019, Rennersistas (Burgenland, Österreich). Pét-Nat aus St. Laurent, 10%. Erhältlich bei Smith&Smith für CHF 32.50.-

Funkiness: clean | mild | wild

Peaches!

Hier ist er also, der Sommer: In dieser Flasche. Herrlich cremig, intensiv-fruchtig, verspielt und doch ernsthaft. Strahlend, warm und lebhaft. Ein gehaltvoller, dichter Pét-Nat von Anne-Claire Schott, in dem sie die individuellen Stärken von Chasselas und Muscat ideal kombiniert. Hier passiert so viel gleichzeitig, dass ein Schluck schnell nach dem nächsten ruft – wie intensiv kann ein Wein nach Pfirsich riechen?

Pét-Nat 2020, Anne-Claire Schott (Twann, Schweiz). Pét-Nat aus Chasselas und Muscat, 12.1%. Erhältlich direkt beim Weingut für CHF 35.-

Funkiness: clean | mild | wild

Kunst und Methode: Die Pét-Nats von Markus Ruch

An diesem Beitrag arbeite ich nun schon seit Monaten. Einerseits war es nicht ganz so einfach, an diese Weine zu kommen – andererseits habe ich einen sehr gesunden Respekt vor diesen Weinen, so dass ich mich nur ganz langsam wie ein schüchterner Asteroid auf einer gemütlichen Umlaufbahn dem Objekt im Zentrum zu nähern wagte.

Aber jetzt ist es soweit. Der Artikel steht und es gibt was zu lesen: Vorhang auf für die fein-sprudelnde Welt von Markus Ruch.

Markus muss man eigentlich nicht mehr vorstellen. Er ist eine der wenigen Ikonen der Schweizer Naturwein-Szene und geniesst sowohl hohes Ansehen und Glaubwürdigkeit im harten Kern der Szene, wird aber auch weit hinein ins klassische Lager geschätzt. Weil seine Weine einfach gut sind und weil er mit seinem Ansatz zwar sehr klar Position bezieht, aber eben nicht dogmatisch missionierend ist. Einen guten Teil seiner Produktion verkauft er mittlerweile über die Landesgrenzen hinaus – nach Skandinavien, London, Berlin.

Seit 2007 bewirtschaftet Markus seine Rebberge in und um Neunkirch im Kanton Schaffhausen. Er arbeitet biodynamisch und machte auf seinem Weg in die Selbständigkeit unter anderem Halt bei Christian Zündel im Tessin, Marie-Thérèse Chappaz im Wallis und Dominique Derain im Burgund. Mit viel Gespür für die einzigartigen, aber oft verkannten Terroirs im Klettgau hat er sich seine Lagen zusammengestellt. Dabei hat er immer wieder auch bestehende Rebberge übernommen und vor ihrer Rodung bewahrt. Sie bilden heute mit ihren alten Reben die Basis für seine ausdrucksstarken Weine. Vergoren wird mit natürlichen Hefen, ausgebaut mit sehr wenig Neuholz, vereinzelt auch in Amphoren. Wichtigste Sorte ist der Pinot Noir und damit verbunden der Wunsch aufzuzeigen, wie die verschiedenen Böden des Klettgau sich im Wein widerspiegeln. Ganze fünf Einzellagen füllt er dazu ab: Haalde, Chölle, Schlemmweg, Buck, Schumpen.

Pinot-Standard im Klettgau.
Und das ambitionierteste Pét-Nat Projekt der Schweiz.

Dazu gesellt sich seit ein paar Jahren das wohl ambitionierteste Pét-Nat Projekt der Schweiz. Und ironischerweise ist der Natursprudler nicht mal das eigentliche Ziel, sondern vor allem eine Übungswiese für ein anderes Projekt. Doch der Reihe nach.

Schon früh habe ich davon gehört, dass Markus Ruch einen Pét-Nat mache. Nur zu kaufen gab es den leider nirgends. Bei den Naturwein-Spezialisten von Cultivino, die fast alle Weine von Markus im Sortiment haben, wurde der Pét-Nat jeweils direkt an die Gastronomie verkauft, im Einzelhandel ist er gar nie aufgetaucht – bei einer Produktion von 300 bis 600 Flaschen auch keine grosse Überraschung.

Dann aber landete eines Tages doch noch eine Flasche auf meinem Tisch, über verschlungene Instagram-Wege organisiert von meinem Bruder und seiner Frau. Der Wein war grossartig und passte an einem warmen Sommer-Grill-Abend mit seiner kühlen, eleganten und sehr zurückhaltenden aber doch aromatisch-eigenständigen Art wie die Faust aufs Auge. Es war ein maischevergorener Müller-Thurgau 2018.

Ich war verliebt. Doch meine Begeisterung für diesen Wein wurde jäh gebremst.

«Den Müller-Thurgau möchte ich eigentlich rausrupfen.» Monate nach dem Grill-Abend telefoniere ich mit Markus, um mehr über seine Pét-Nats und seine Philosophie als Winzer zu erfahren. Schnell wird klar: Die 2018er Orange-Variante des MT war ein Unikat, 2019 wurde schneller abgepresst. An Gefälligkeit hat Markus kein Interesse, der Charakter des Müller-Thurgau ist ihm insgesamt zu wenig spannend. Ihn interessieren die Extreme: Ein karger, weisser Pinot, schmerzhaft früh geerntet, ein Benchmark für Acid Heads. Ein Pét-Nat also, der sich an der Zero Dosage Stilistik der Champagne orientiert. In dieser Kompromisslosigkeit erinnert mich Markus an einen Künstler. Er verfolgt eine klare, persönliche Stilistik. Das Publikum darf gerne dazu eine eigene Meinung haben, interessieren tut sie ihn absolut sekundär. Der Pét-Nat Pinot Noir 2019 hat eine unglaubliche Energie und spaltet mit seiner krassen Säure tatsächlich die Geister am Tisch. Mir gefällt der Stil, Fruchtaromen sind fast komplett abwesend aber der Wein leuchtet und strahlt eine athletische Eleganz aus, die sehr erfrischend ist. Gut möglich, dass er mit ein paar Jahren in der Flasche noch schöner wird. Anderen Mittrinkern ist er klar zu extrem und sauer.

Das andere Extrem von Markus Ruch ist das Herzensprojekt Cidre.

Die Mosterei Oswald+Ruch verwertet Früchte von vernachlässigten Obstbäumen in der Region und hilft so mit, dieses wertvolle Kulturgut und die natürliche Biodiversität zu erhalten. Die Erfahrung im Umgang mit den Pét-Nats fliesst direkt ein ins Projekt: «Wir konnten wertvolles Wissen rund um die Méthode Ancestrale aufbauen. Fehler machen, neugierig bleiben, Mut haben.» So kommt zum Beispiel der Saft sowohl von Trauben wie auch Äpfeln nach dem Pressen zunächst in den Kühlraum, um sich zu beruhigen und nicht wild galoppierend in die Fermentation zu starten.



Wie beim Pinot Noir ist auch beim Cidre die Vielfalt der Schlüssel zum Erlebnis: Aktuell sechs verschiedene Abfüllungen gibt es. Die verschiedenen alten Apfel- und Obstsorten sind gross auf den geschmackvollen Etiketten aufgeführt. Das weckt zwar die Neugierde, aber eine einprägsame Produktebezeichnungen ist «Bohnapfel Boskoop Surgrauech Berner Rose Blauacher Neunkirch 2019» dafür leider eher nicht.

Geschmacklich liegen die Cidres stärker in der klassischen Naturwein-Ecke als die Pét-Nats und sind mild funky. Vor allem der Bohnapfel Konstantinopeler… gefiel mir mit seiner herben, leicht säuerlichen und deutlich von der Hefe geprägten Art sehr gut. Die feine Aromatik der Apfelquitte gibt dem Wein zusätzlich Charme.

Der Bohnapfel Boksoop… ist halbtrocken ausgebaut. Die Süsse ist deutlich spürbar, trotzdem wirkt er weder fett noch klebrig, sondern bleibt fein und dank der Säure balanciert. Im Charakter ist er aber klar weicher, zugänglicher und trinkfreudiger.

Es bleibt mir, Markus für unser Gespräch und die zur Verfügung gestellten Weine zu danken. Der Einblick in seine Wein-Welt und Pét-Nat-Systematik ist unglaublich spannend und ich hoffe, dass er mit seiner an Qualität und Charakter orientierten Ancestral-Philosophie das eine oder andere zukünftige Talent inspiriert.

Klettgau Pinot Noir 2019, Markus Ruch (Neunkirch, Schweiz). Pet-Nat aus Pinot Noir, 10%. Erhältlich bei Cultivino für 22.-

Funkiness: clean | mild | wild

Bohnapfel, Konstantinopeler Apfelquitte, Pastorenbirne 2019, Mosterei Oswald+Ruch (Neunkirch, Schweiz). Cidre aus Apfel, Birne, Quitte, 5,7%. Erhältlich bei Cultivino und Selection Widmer für 15.- bis 16.-

Super Schluck, Fabien Henriot: Mini-Produktion, Maxi-Genuss

Super Schluck 2019

Diese Flaschen sind nicht ganz einfach zu bekommen. Zuerst ist da nur das Gerücht von einer Mini-Produktion in Neuchâtel. Dann findet man in einem Nebensatz auf einem Blog einen Namen. Und landet dann mit etwas Spürsinn auf einer Facebook-Seite: Les Vins du Fab. Fab, das ist Fabien Henriot. Und seine Produktion ist nicht nur klein, sondern mikroskopisch klein. Von dem hier vorgestellten weissen Viognier-Pet-Nat «Super Schluck» gibt es gerade mal 55 Flaschen. Beziehungsweise knapp 40 Flaschen, nachdem sie Fab noch degorgiert hat um Druck und Sediment zu reduzieren.

Wer hier am Werk ist, muss also ein ziemlicher Überzeugungstäter sein.

Der Viognier für diesen Pet-Nat stammt aus der Lage «Perrières» in La Neuveville, am Fusse des Juras. Die Reben wachsen hauptsächlich auf Böden aus Lehm und Kalkstein mit etwas Kies, sind schon gut 25 Jahre alt und werden von Jean-Daniel Giauque kultiviert – respektive: wachsen gelassen. Gräser, Kräuter und andere Pflanzen dürfen wild zwischen den Reben wachsen und die Laubwand bleibt oben offen. Fabien erzählte mir, dass jeweils zu Fuss fast kein Durchkommen mehr sei, bevor sie im Spätsommer mit der grossen Schere durch den Rebberg gehen.

Zum Wein: Der «Super Schluck» zeigt eine schön ausgewogene Perlage, in der Nase eine leichte Note von Cidre. Am Gaumen schmeckt man etwas Limette, Kiwi, aber vor allem weisse Grapefruit und etwas Birne, Hefe. Mir huscht auch noch die positive Assoziation von Pepita durch den Kopf. Am meisten aber beeindruckt der Wein mit seiner spannenden Textur. Das ist eine volle Ladung Pet-Nat, sehr einnehmend, mit viel Energie aber eben auch Eleganz und Balance. Ein echter Charakterkopf.

Fabien arbeitet seit 2009 als Winzer, zunächst in Frankreich und seit 2014 in der Schweiz. 2019 ist der zweite Petnat-Jahrgang von Fab und man darf gespannt sein, wohin seine weitere Reise geht!

Super Schluck 2019, Fabien Henriot (Neuchâtel, Schweiz). Pet-Nat aus Viognier, 12.5%. Direkt ab Weingut erhältlich für 24.- (ausverkauft)

Funkiness: clean | mild | wild

Pet’Nat‘ Rosé, Cave des Amandiers: Kunstvoller Walliser.

Für Monster und Geniesser: Pet-Nat Rosé aus Humagne Rouge

Sehr steil, sehr schön: Wer sich die Rebberge von Alexandre Délétraz anschaut, versteht schnell warum hier jemand sein Glück als Winzer versuchen will. Erst seit 2008 gibt es seine Domaine, zuvor hatte Alexandre noch sein Önologie-Studium abgeschlossen und war von Genf ins Wallis gezogen, getrieben vom Traum, Winzer zu werden und nicht ein Leben hinter einem Bürotisch zu verbringen. 6 Hektar betreut er heute, gearbeitet wird von Hand und alle Weine vergären spontan.

Seinen Pet-Nat habe ich per Zufall bei einem Genfer Weinhändler entdeckt und gleich bestellt. Neben dem Rosé von 2018 gibt es noch einen weissen Pet-Nat aus Petite Arvine aus dem Jahr 2019, den ich für den Moment aber noch im Keller ruhen lasse.

Der Rosé wurde aus Humagne Rouge gekeltert. Am Anfang ist die Perlage noch sehr intensiv – nicht überschäumend aus der Flasche, sondern druckvoll im Mund. Wandelt sich aber schnell und wird weicher, angenehmer. Es zeigen sich wilde Beeren, ein reifes Aroma, sehr harmonisch. Sehr schön in Begleitung zu Essen. Ein eleganter, lustvoller Pet-Nat.

Man merkt diesem Weinen die Energie Alexandre an, etwas handwerkliches, aber auch künstlerisches zu schaffen. Eine schöne Entdeckung.

Pet’Nat‘ Rosé 2018, Cave des Amandiers (Wallis, Schweiz). Pet-Nat aus Humangne Rouge, 13,3% Vol. Bei 1870 Vins et Conseil erhältlich für 19.-

Funkiness: clean | mild | wild

CX Ancestral, Partida Creus: Entspannung im Glas

Die Weine von Partida Creus mit ihren plakativen Buchstaben gehören in die gleiche ikonische Top-Liga der Naturwein-Szene wie die Portrait-Labels des Gut Oggau oder die Pfeile von Gabrio Bini. Der erste Jahrgang von Partida Creus entstand aber schon 2007, als Instagram noch nicht erfunden und Naturweine noch weit weg von globalen Dynamik waren, die sich die Szene mittlerweile erarbeitet hat. Höchste Zeit also, diese Ikone vorzustellen.

Partida Creus, das sind Massimo Marchiori und Antonella Gerona, zwei ehemalige Architekten aus dem Piemont. Sie kamen zunächst beruflich nach Barcelona, zogen dann aber ums Jahr 2000 aufs Land, um mehr Ruhe in ihren Alltag zu bringen. So landeten sie in Massís de Bonastre (Baix Penedés), wo sie über die Jahre den Charme verlassener Rebberge und vergessener autochthoner Rebsorten entdeckt haben.

Egal ob CX, GT, XL, BS, VN, AA: Hinter den Buchstaben stehen immer autochthone Sorten der Region, die Massimo und Antonella in verlassenen Parzellen aufgestöbert haben. Die alten Reben werden nachhaltig bewirtschaftet, haben nur sehr tiefe Erträge und die Trauben werden mit möglichst wenig Interventionen und ohne Schwefel vinifiziert. Um den Charakter der Trauben nicht zu verfälschen, werden die Weine strikt in gebrauchten Fässern ausgebaut.

Neben den stillen Weiss-, Orange- und Rotweinen gibt es von Partida Creus auch eine kleine Auswahl von Ancestral Weinen, also spontan- und naturvergorenen Schaumweinen.

Den CX (Abkürzung für die Traube Cartoixa Vermell) hatten wir auf einem Wochenendausflug mit im Gepäck und er passte perfekt zum sommerlichen Sonntagnachmittag am Fluss. Man merkt es diesem Pet-Nat an, dass hier Erfahrung am Werk ist. Der Wein ist angenehm unaufgeregt, fast schon nobel, kühl zurückhaltend, aber mit einer spürbaren Spannung und Tiefgang. Ein sehr frischer Wein, kühle Frucht (etwas weisser Pfirsich), aber eben auch mediterrane Kräuter (Rosmarin, Thymian) und fast eine leichte Salzigkeit.

Kein Pet-Nat-Blockbuster, aber definitiv ein Wein, den es sich lohnt zu suchen.

CX 2018, Partida Creus (Bonastre / Penedès, Spanien). Pet-Nat aus Cartoixa Vermell, 10% Vol. Bei More Than Wine erhältlich für 30.- (ausverkauft)

Funkiness: clean | mild | wild

Links: Partida Creus – Visit 2014 (Katalde.com), The Birthplace of BS (thewinestache.com)